Im ersten Beitrag darüber, was die Krise mit uns macht, haben wir uns mit dem gesellschaftlichen Begriff „Krise“ auseinandergesetzt und uns überlegt, wo die Katerstimmung überhaupt her kam: hier gibt`s den ersten Teil über Lebensstile in der Krise in voller Länge.
Heute geht`s darum, dass eine gesellschaftliche, also äußere Krise, den Menschen dazu bringt, sich wieder nach innen oder auf kleinere Kreise zu konzentrieren. Ein Phänomen, das sich im Laufe der Zeit den kuscheligen Namen Cocooning gefunden hat.
Cocooning

In den 80er Jahren prägte die amerikanische Trendforscherin Faith Popcorn den Begriff Cocooning (vom englischen Wort für Verpuppen, in ein Kokon einschließen).
Der Begriff bezeichnet die besonders in Krisen- und unsicheren Zeiten auftretende Tendenz des Menschen, sich aus der Gesellschaft und Öffentlichkeit in das häusliche Privatleben zurückzuziehen – ein Biedermeier-Verhalten neuerer Prägung quasi. Eine weitere Bewältigungsstrategie des Menschen wäre das so genannte Clanning, also die Suche nach Gruppenzugehörigkeit, einem gleich gesinnten Clan, in dem man geborgen ist.
Besonders in unübersichtlichen, als bedrohlich empfundenen Umwelt wie in Krisenzeiten oder nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist laut Popcorn eine derartige Tendenz mainstream-fähig. Home sweet home!
Allein, westliche Gesellschaften sind nicht die einzigen, in denen sich Menschen in unsicheren Zeiten und steigender, persönlich empfundener Unsicherheit in kleine Kreise zurückziehen.
Hikikomori
Im modernen, kapitalistischen Japan, einer der kompetitivsten Gesellschaften der Welt, gibt es eine steigende Anzahl von Jugendlichen, so genannten Hikikomori (gesellschaftlichen Rückzüglern), die sich mit den hohen Erwartungen und dem hohen Tempo der Gesellschaft überfordert fühlen. Sie kämpfen mit Versagensängsten, steigendem Druck auf dem Jobmarkt und fehlenden sozialen Bindungen. Ihr Ausweg: sich in die isolierte Privatheit flüchten. Hikikomori sind Jugendliche am Übergang ins Erwachsenenleben, die sich freiwillig in ihrer Wohnung oder in ihrem Zimmer einschließen, sich weigern das Haus ihrer Eltern zu verlassen und den Kontakt mit der Gesellschaft komplett minimieren. Schätzungen sprechen mittlerweile von einer halben bis zu einer Million Hikikomori in Japan – Gesamtbevölkerung: 127Millionen. Tendenz steigend.
Die Ursache für das Phänomen der Hikikomori sehen Psychologen in einem Fehlen von Transformations- und Initiationsritualen im modernen, kapitalistischen Japan. Die Gesellschaft bietet dort keinen gangbaren Pfad in ein Lebensmodell an, das den Ansprüchen dieser Gruppe genügt.
Wer sich näher mit dem Phänomen der Hikikomori auseinander setzen möchte: Milena Michiko Flašar`s aktuelles Buch „Ich nannte ihn Krawatte“ setzt sich mit der Geschichte eines dieser Aussteiger auseinander, der wieder beginnt, in die reale Welt seiner Umwelt einzutauchen. Dort macht ihr Protagonist in einem Park die Bekanntschaft eines Büroangestellten, der ebenfalls mit dem Leistungsdruck der Gesellschaft nicht zurecht kommt und deshalb zu einem Außenseiter wird:
„Über die einfachsten Dinge möchte ich schreiben. Darüber, zum Beispiel, wie wir jetzt hier an diesem Tisch, uns gegenüber, nach zweieinhalb Jahren, einander von Dingen erzählen, über die man normalerweise schweigt.“