Begrüßungsküsse
Manche Amerikaner aus dem Mittelwesten tun`s einmal. Österreicher tun`s definitiv zweimal. Am buntesten treiben`s – wer hätte das gedacht – die Schweizer, die nämlich küssen drei mal.

Ich hab nie viel über dieses Ritual nachgedacht. Aus meiner Kindehit kenn ich das Küssen fremder Wangen als Begrüßungsgeste definitiv nicht. Aber irgendwann recht schnell nach meiner Ankunft im Erwachsenenleben bzw. in der Großstadt (da kann man jetzt rätseln in welcher chronologischen Abfolge die beiden Ereignisse standen) werde ich mich wohl dem gesellschaftlichen Konsens gebeugt haben: Liebe Bekannte oder solche, denen man zumindest zeigen sollte, dass man sie nicht gänzlich unsympathisch findet, werden beim Hallo geküsst.
Für ein Händeschütteln bin ich als Frau nicht manns genug und so förmlich will ich eigentlich meist nicht sein.
Jedenfalls: bisher noch keinen Gedanken daran verschwendet hatte ich am vergangenen Wochenende folgende Begegnung küsserischer Natur. Der Freund einer Freundin begrüßt mich herzlich. Wir setzen beide zum Wangenkuss an. Ich neige mich nach vorne, drehe ganz automatisch den Kopf und bevor ich`s mich versehe, bemerke ich: Er dreht gegengleich den Kopf! Das kann sich nicht ausgehen!
Ich habe schnell und – wie ich hoffe – einigermaßen unauffällig nachgesteuert und den Kopf in die andere Richtung geworfen. Seither beschäftigt mich die Frage: Küsse ich immer in die gleiche Richtung? (Ja, ich glaub schon!) Küssen die anderen auch alle, in dem sie zuerst den Kopf nach links drehen?
Da ich noch nie so „nachsteuern“ musste, denke ich schon. Vielleicht bild ich mir aber nur was ein…
Jedenfalls seltsam, dass ich kurz nach meinem ersten Fehltreffer in sachen Wangenkuss Herrn Glattauers Meinung dazu in seinem Sammelband „Ameisenzählung“ lese:
Der Wangenkuss (I)
Wenn man jemanden trifft, den man kennt, gibt es, je nach Grad der Freude über die Begegnung, vier Möglichkeiten: Entweder mand grüßt nicht, indem man wegschaut. Oder man grüßt nicht, obwohl man hinschaut. Oder man grüßt. Oder man küsst.
Nun haben wir den Verdacht, dass heute mehr geküsst wird als früher. Wir halten das für einen Rückschritt zu mehr Feuchtigkeit in der Gesellschaft. Schuld sind Männer, die plötzlich beweisen wollen, wie zärtlich sie sein können – vor allem zueinander.
Das Unangenehme am Begrüßungskuss ist die geringe Trefferquote Täglich spielen sich Hunderte Dramen der Begegnung ab, zum Teil auf offener Straße.
– Küsser eins (K1) peilt die linke Wange von Küsser zwei (K2) an. Der hält ihm die rechte entgegen. Es kommt zu einem unerwünschten Streifkuss.
-K1 und K2 jagen der je weggedrehten Wange des Gegenübers nach, küssen ins Leere und drohen das Gleichgewicht zu verlieren.
-K1 und K2 halten je eine Wange zum Kuss hin. Ein schmerzvoller Ohrenreiber ist die Folge.
-K1 will nur einmal, K2 rechnet mit Beidseitigkeit und donnert K1 den Kiefer gegen die Nase.
Fürs erste genug! Wir sind Verfechter des ehrlichen Händedrucks.
Offensichtlich haben die Probleme, die ich erst entdecke, andere schon lange gewälzt. Wie beruhigend!
In Georgien küsst man auch nur einmal – ich hänge also beim zweiten Ausholen immer in der Luft…
Und beginnt man auf der richtigen Seite in Georgien? Auf welcher Seite beginnst du?
Die Phil ruft zum georgischen Selbstversuch!
Ganz anders mit meiner Freundin aus der französischen Schweiz. Dort küsst man dreimal. Ich, nach dem 2. Mal fertig, setzt sie erneut zum 3. Mal an, was mich in völligen Stress bringt, weil ich die Wegstrecke nicht mehr aufholen kann … Gemütlicher also in Georgien.