Aussteigen
In den beiden letzten Beiträgen zur Gesellschaft der Krise und der Krise der Gesellschaft haben wir uns angsehen wo die Krise eigentlich her kam (Teil 1) und welche Mechanismen von innerem Exil in modernen Gesellschaften beobachtet werden (Teil 2).
Aber Aussteigen aus einer Gesellschaft, die nicht das bietet, was mit dein eigenen Idealen übereinstimmt, ist nicht erst seit dem Schöffel-Werbespot eine verlockende Option:
Es gibt berühmte historische Aussteiger, die zum Vorbild für Generationen von zu Mainstream-Entwürfen alternativen Individuen und Gruppen wurden. Vor allem einer wurde zum Philosophen der aussteigerischen Weltanschauung: Hendy David Thoreau. Hier geht`s weiter über sein Leben.
Gesellschaftliche Aussteiger
„Das ganze Unglück der Menschen rührt aus einem einzigen Umstand her, nämlich dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können“, hat schon Blaise Pascal (1623-1662) in seinen „Pensées“ festgehalten (Quelle). Auch er forderte ein Aussteigen aus all dem Trubel und den Vergnügungen seiner Zeit.
Die meisten Menschen, so war er überzeugt, beschäftigen sich mit sich selbst nicht genügend um die Welt wirklich zu verstehen. Sie haben keine Vorstellung von ihrem möglichen Lebenssinn. Aus Angst, sich die eigene Leere und Sinnlosigkeit eingestehen zu müssen, suchen sie ihr Heil in der Zerstreuung.
Die Idee vom Aussteigen gibt also nicht erst seit Into the Wild. Während in Europa sich häuslich im Biedermeier einrichtete und sich im Cocooning übte, zog sich der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau (1817-1862) als 27-Jähriger aus der Gesellschaft zurück und in eine selbstgebaute, 15m² große Hütte am Lake Walden ein. Er will sich dem Leben ausliefern, sich selbst erfahren und eine authentische Lebensweise finden:
„Ich zog in die Wälder, weil ich bewusst leben, mich nut mit den wesentlichen Dingen des Lebens auseinandersetzen und zusehen wollte, ob ich das nicht lernen konnte, was es mich zu lehren hatte, um nicht auf dem Sterbebett einsehen zu müssen, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das Leben, das kein Leben war, dasnn das Leben ist so kostbar; noch wollte ich Entsagen üben, wee es nicht unumgänglich nötig war. Ich wollte tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen und so standhaft und spartanisch leben, um alles, as nicht Leben war, davonzujagen.( Walden, S. 98)
Thoreaus „Walden oder Leben in den Wäldern“ ist ein tagebuchartiger Bericht über das Experiment, ein Leben abseits der Gesellschaft zu führen, einfach, reduziert, bewusst und im Einklang mit der Natur. Es wurde damit zu einem Klassiker und Kultbuch für alternative Lebensformen.
Cocooning 2.0: es wird Lo-Co
Nun sind wir aber nicht alle Aussteiger, sondern eher auf der Suche nach einem kleinen Rückzug aus der Hektik des Alltags, Cocooning 2.0 so zusagen. Auch dafür hat Faith Popcorn eine Bezeichnung: Lo Co – Local Consuming prognostizierte sie bereits 2009: Konsumenten kaufen nicht mehr nur bio, sondern regional und saisonal. Der persönliche Radius wird reduziert, sei es nun die Facebook-Friend-List oder das Einzugsgebiet des wöchentlichen Gemüsekaufs. Die Rückkehr des Lokalen ist die Gegenbewegung zu so genannten neo-nomadischen Gesellschaften, die dadurch geprägt waren und sind, dass soziale Bindungen und ein Heimatgefühl weniger wichtig sind als die Befriedigung des Dranges in die Welt hinaus, der Studien- und Job-Mobilität.
In Krisenzeiten ist der Mensch aber auf der Suche nach Verwurzelung. Back to Basic heißt das Motto. Überhaupt hat das kleine Handwerk, das Selbstgemachte wieder goldenen Boden.
Bei etsy hat der Trend zu Selbst Hergestelltem begonnen auf den Mainstream überzugehen. Selbstgemachtes ist hip, Häkeln und Stricken erlebt eine Renaissance und hat sich in der so genannten Craftivism-Bewegung sogar eine gesellschaftlich-politische Dimension erkämpft. So werden Militärequipment und Grenzbalken, aber auch öffentliche Räume wie Parkbänke und Brückenpfeiler umstrickt und behäkelt um gesellschaftlichen, antikapitalistischen oder auch feministischen Protest auszudrücken.

Bereits seit 2008 gibt es in Wien eine aktive Gruppe von Guerilla Gardeners, die nicht nur das Längenfeld begrünen, sondern unter dem Motto „Pflanz dir deine Stadt“ auch andere Orte der Stadt mit Nutzpfanzen grüner, schöner und erntbar machen.
Aber auch im Privaten wird urban gardening nun mehrheitsfähig. Es wird gegartelt und angepflanzt was das Zeug hält. Kaum einer, der nicht vom befriedigenden und entspannenden Wühlen im Dreck berichtet. Jedes noch so kleine Fensterbrett wird mit der Bepflanzung mit Heirloom-Tomaten und Wild-Kräutern einem sinnvollen Zweck zugeführt.
Das befriedigt einerseits einen in als unsicher wahrgenommenen Zeiten typischen Nestbautrieb. Andererseits will man sich basale Kulturtechniken wieder aneignen. Wir sind von den ökonomisch starken Jahrzehnten dort angekommen, wo es nicht mehr nur darum geht, etwas zu leisten und zu verdienen, sondern etwas von Sinn und Bestand zu schaffen. Und sei das nur das Gemüsebeet.
Die Zeit als der Gutmenschen-Sager davon kündete, dass besagte Gutmenschen ein Randphänomen der Gesellschaft waren, ist vorbei, in der man jene „Naivlinge“ belächelte, die ihre Augen vor unangenehmen Realitäten verschlossen, wenn es um politische oder gesellschaftliche Notwendigkeiten geht.
Dieser Realismus und Pragmatismus ist längst nicht mehr en vogue. Längst sind wir alle ein bisschen erdverbundene Gutmenschen, ein gut situiertes Mainstream-Völkchen, dass in der Tradition, in Handarbeit und Haus- und Gartenpflege, ja sogar in der Stadtflucht in ein idealisiertes Landleben auf dem renovierten Bauernhof versucht vor der globalen, schnellen unsicheren Welt zu fliehen und Halt zu finden, wie Popcorn es nannte in „The need to protect oneself from the harsh, unpredictable realities of the outside world“.
Sie sind überall – Preppers
So kommt es auch, dass ein Manager in leitender Position (ja, gut, ich gebs zu, es war mein Chef!) am Rande des Meeting nicht mehr begeistert vom Canyoning oder Raften erzählt, sondern mit stolz geschwellter Brust berichtet, dass es tags zuvor den ersten eigenen Salat vom Hochbeet auf der Dachterrasse ernten konnte. Urban Gardening in Reinkultur. Nicht weil es sein muss, sondern weil es entspannend, interessant und wieder sinngebend geworden ist, etwas mit den Händen zum Wachsen zu bringen und ernten zu können.
Eine Motivation, die andere noch ernster nehmen a la „Im Moment weiß keiner so genau wohin die Reise geht wirtschaftlich, politisch, finanziell. Da ist es notwendig für schlechte Zeiten gerüstet zu sein.“
Hier geht es schon ums Überstehen schlechter Zeiten, also eine Frage von Leben und Tod. Und es gibt tatsächlich Menschen, die sich auf ganz schlechte Zeiten, „das Ende der Welt, wie wir sie kennen“, vorbereiten. Die so genannten Preppers (vom englischen Wort für vorbereiten) lernen basale Kulturtechniken wie Brot backen, Obst und Gemüse anbauen und einkochen, Saatgut herstellen und Kleidung selbst stricken, und das nicht zum Zeitvertreib, sondern um für die Katastrophe, was auch immer sie sein kann von Flut, Erdbeben, Atomkatastrophe oder Krieg, vorbereitet zu sein. Denn – da sind sich alle sicher – das Ende wird kommen.
Und dann überleben diejenigen, die sich in den Banden durchschlagen können, und gelernt haben für sich selbst zu sorgen. Wer bei diesen Beschreibungen an Margret Atwoods Roman „Das Jahr der Flut“ erinnert wird, liegt ganz richtig. Nur, dass es für die Preppers, die mittlerweile auf 4 Millionen in Amerika, Europa und Asien geschätzt werden, nicht um eine fiktionale Vorstellung handelt. Für sie ist sicher, dass irgendwann der Tag kommen wird, wenn „the shit hits the fan“.
Auch wenn die Prepper davon überzeugt sind, dass sie die Bewahrer und Neuerrichter der Kultur sein werden. Sie sind doch nur eine neue Gruppe von Konsumenten, die eine ganze Reihe von neuen Konsumgütern nachfragen und damit einer Mode folgen. Die neuen Must-Haves sind nun eben nicht Designartikel oder Wildkräutersamen sondern Astronautennahrung, Notrationen, Wasseraufbereitungs-Tabletten und Allzweckmesser.
Und welchen Reim soll man sich nun für den eigenen Lebensentwurf daraus machen? Nun, hier soll Thoreau nochmal zu Wort kommen (Quelle):
„Lass die Gesellschaft nicht das Element sein, in dem du schwimmst – Arbeite mehr an dir selbst – Tu, was du wirklich liebst.“