Viele Gesichter
In ihrem Roman erzählt Eva Menasse die Biografie der Xane Molin in dreizehn Kapiteln ausschließlich aus der Perspektive anderer: der
Schulfreundin, des Vermieters, der Ehefrau ihres Geliebten, einer Jugendfreundin oder der Tochter. Geradezu von selbst und nahezu unabsichtlich entsteht so das Bild einer Frau, das Bild eines Lebens, das uns die Frage stellt: Was wissen wir wirklich über uns selbst? Und was vom anderen?
Zu Beginn ist Xane Molin vierzehn Jahre alt und erlebt mit ihren besten Freundinnen einen dramatischen Sommer. Am Ende begegnen wir ihr als Großmutter, die versucht, das Steuer ihres Lebenswegse noch einmal kräftig herumzureißen.
Dazwischen erscheint Xane aus den verschiedensten Blickwinkeln, in zusammenhanglosen Situationen: Ihr Vermieter, der die junge Verliebte misstrauisch beobachtet und dessen eigene Geheimnisse in ihr als Spiegel offenkundig werden. Ein Bürgerkriegs-Überlebender aus Afrika, der sich auf diplomatischen Wegen in die gestandene Frau verliebt. Da ist die wenig feinfühlige Jugendfreundin, die Xane nach Jahrzehnten plötzlich nicht mehr zu ertragen glaubt. Der Professor, der aus auf einer sukurrilen Auschwitz-Exkursion als halb-jüdische Doppelhelix bezeichnet.
Die Kinderwunschärztin, deren Arbeitsalltag die beinahe hoffnungslose Xane kreuzt. Da ist die pubertierende Tochter der Patchwork-Familie, die Xane ihre eigene Jugend und Aufmüpfigkeit eindringlich vor Augen hält. Kann all das Xane sein? Sie muss es sein und noch viel mehr.
Der Titel des Buches nimmt Referenz aus der Naturwissenschaft. Erst kürzlich wurde entdeckt, dass es nicht nur Kristalle mit klar symmetrischer, sondern auch mit scheinbar ungeordneter Struktur gibt. Genauso verhält sich Xanes Lebensweg: Er ist verschlungen und schwer berechenbar und nur aus der Ferne als Ganzes erkennbar.
Gesamteindruck
In der Zeit schreibt Ijoma Mangold über das Buch:
Worum geht es in dem Buch?, wird man häufig gefragt. Meistens lässt sich das beantworten, indem man das Thema nennt, von dem der Roman handelt: Von der Schwierigkeit der Partnerwahl, von Adoleszenzproblemen, von der plötzlich auftauchenden NS-Vergangenheit der Großeltern (ein Karton mit alten Briefen auf dem Dachboden), von einer Kindheit in der DDR. Für Eva Menasses neuen Roman Quasikristalle gibt es keine solche Antwort. Zwar tauchen in ihm viele Themen auf, die unsere Gegenwart bestimmen, aber sie sind nur Material, durch das der Wind der Zeit weht.
Die Themen durch die Menasse diesen Wind wehen lässt, ließen sich ergänzen um Ehebruch, Sterbehilfe, Kinderwunsch und Depression. Dieses Potpourri soll aber nicht den Blick darauf verstellen, dass es gelingt einen echten experimentellen Roman im Wortsinn zu zaubern, der schließlich Sinn macht und dabei Spaß macht. Eva Menasse gelingt es aus Teilchen unterschiedlicher Puzzles ein konsistentes Bild zusammenzusetzen.