Eine Leserunden-Erfahrung
Das aktuelle Buch der Leserunde ist ein in vielerlei Hinsicht überraschendes Buch, aber eines, das erst auf den zweiten Blick überrascht. Um diese aber erst einmal mitbekommen oder schätzen zu können, muss man eines schaffen: sich unvoreingenommen auf die Geschichte einlassen.
Und wenn man irgendwo lernt, sich auf Stoffe, Stile, Geschichten und Themen einzulassen, dann in meiner Leserunde, wo abwechselnd der/die jeweilige GastgeberIn das Buch vorschlägt. Oft sind da ganz großartige Bücher dabei, auf die man alleine nie gekommen wäre, oft sind es aber auch Bücher, auf die man hätte verzichten können.
Wie ist das jetzt aber mit Kristine Bilkas Erstling?
Die Story

Isabell und Georg sind ein urbanes Bobo-Paar. Und zwar eines mit Kleinkind. Hier ist die erste Falle im Buch eingebaut, der man nicht auf den Leim gehen darf. Dazu später mehr.
Die Geschichte jedenfalls, die geht so:
Isabella ist Cellistin und schafft nach der Babypause den Wieder-Einstieg ins Berufsleben nicht, aufgrund einer ausgewachsenen Depression, die sich in Auftrittsangst, Lampenfieber und vor allem Fehlleistungen und Krämpfen in ihrer Bogenhand manifestieren. Sie schafft es aber nicht über ihre Probleme mit Georg zu reden.
Georg wiederum ist Journalist und verliert schuldlos seine Festanstellung. Plötzlich stehen die beiden mit der Verantwortung für ihr Kind und sich selbst alleine da und driften immer weiter auseinander – beide unfähig die größer und größer werdende Kluft zwischen sich und ihren eigenen Ansprüchen bzw. zwischen sich und dem Partner zu überwinden. Ihre Leben und ihre Beziehung drohen zu scheitern.
Die Meriten
Das ist keine Geschichte über die Probleme frisch gebackener Eltern. Also, irgendwie schon, aber deswegen hätte ich das Buch nicht gewählt. Und dem darf man auch nicht auf den Leim gehen. Mn muss nicht unbedingt Karenz-Elternteil sein, um der Geschichte etwas abzugewinnen.
Es ist eine Geschichte, die unheimlich präzise das tägliche kleine Scheitern von Menschen beschreibt. Kristine Bilka zeichnet ein realistisches Bild vom Verstummen und Versagen in einer städtischen Bobo-Welt die gefangen ist zwischen den eigenen und fremden Ansprüchen, in der man sich in der Schlangengrube der Freiberufler bewegen muss und Glück durch die Bio-Öko-Konsum zu überhöhten Preisen demonstiert wird.
Es ist – und das kann man für etwas zu viel des Guten halten – eine Geschichte darüber wie eine Schock- und Notsituation wie der Tod eines Familienangehörigen dazu führen kann, dass man aus der Starre der eigenen Depression und Sprachlosigkeit gerissen wird und eine Geschichte darüber wie viel man in wenigen Wort (nicht) sagen kann, bis schließlich beide sprachlos und mittellos sind.
Schließlich ist es eine Geschichte darüber, wie nah an der Normalität sich ein sozialer Abgrund befinden kann, den man geflissentlich aber unwissentlich aus der eigenen Lebensgeschichte oder dem Umfeld mitzieht und aufbaut. Und dann strampelnd versucht, die Steilhänge wieder hochzuklettern, die man davor, von oben, nicht sehen wollte.
In der Leserunde hat dieses Buch nicht nur jenen gefallen, die Kinder haben, sondern auch jenen, die keine haben. Gut gefühlt damit haben sich die meisten nicht, Wohlfühlbuch ist es keines. Aber empfehlen kann man es!